Digitale Offenheit braucht fachwissenschaftliche Tiefe: OER-Qualität im Projekt TiRU
OER eröffnen in der Lehrer:innenbildung neue didaktische Gestaltungsräume. Gleichzeitig stellen sie anspruchsvolle Fragen nach Qualität, Nachhaltigkeit und struktureller Anschlussfähigkeit. Im Spannungsfeld von Offenheit, fachwissenschaftlicher Fundierung und rechtlicher Absicherung gewinnt insbesondere die Berücksichtigung fachspezifischer - also religionspädagogischer - Qualitätsdimensionen an Bedeutung.
Wie sich diese unterschiedlichen Facetten in einem qualitätsorientierten Entwicklungsprozess verbinden lassen, zeigt exemplarisch das Projekt TiRU (Tablets im Religionsunterricht) an der Goethe-Universität Frankfurt. Die dort entwickelten Materialien wurden im Rahmen des FOERBICO-Projekts einer systematischen Beratung unterzogen, gestützt auf die eigens erarbeitete Handreichung zu OER-Qualitätskriterien. Der Beitrag dokumentiert diesen Prozess, reflektiert die identifizierten Gelingensbedingungen und verdeutlicht, wie Qualität in offenen Bildungsressourcen nicht nur überprüft, sondern als integraler Bestandteil ihrer Konzeption aktiv gestaltet werden kann.
Das Projekt TiRU: Tablets im Religionsunterricht
Im Projekt TiRU (Tablets im Religionsunterricht) wird seit 2022 an der Goethe-Universität Frankfurt ein innovatives, sechssemestriges fachdidaktisches Lehr-Lern-Laboratorium umgesetzt. Unter Leitung von Prof. Viera Pirker und der Umsetzung von Paula Paschke wurden OER entwickelt, die fachdidaktische und fachwissenschaftliche Perspektiven auf den Einsatz von Tablets in der religionspädagogischen Lehrkräftebildung zusammenbringen. Ziel von TiRU ist es, Digitalkompetenz, theologische Reflexion und mediendidaktische Expertise praxisnah in Seminaren zu verbinden und die daraus entwickelten Materialien für die religionspädagogische Hochschuldidaktik als barrierearme OER verfügbar zu machen. Darüber hinaus zielt TiRU darauf, die an vielen Schulen bereits verbreiteten Tablets didaktisch fundiert im Religionsunterricht einzusetzen. Lehramtsstudierende werden gezielt angeleitet, Tablets aktiv und reflektiert im Religionsunterricht zu verwenden.
TiRU orientiert sich konsequent an einer offenen Bildungskultur. Es adressiert lebenslanges Lernen durch phasenübergreifende Nutzbarkeit der Inhalte in Studium, Referendariat und Fortbildung. Die entwickelten OER-Selbstlernkurse richten sich nicht nur an Studierende der Goethe-Universität, sondern auch an Lehramtsstudierende anderer Hochschulen, an Dozierende in allen Phasen der Lehrer:innenbildung sowie an Einzelpersonen im Selbststudium. Im Rahmen des TiRU-Projekts wurden OER in den Themenbereichen “Bibeldidaktik”, “Ethisches Lernen” und “Interreligiöses Lernen” konzipiert.
Beratung und Qualitätsentwicklung im Rahmen von FOERBICO
Die in TiRU entwickelten OER-Materialien zum Biblischen Lernen (Zugriff über den Gastzugang möglich - einfach auf “Anmelden als Gast” klicken) wurden im Rahmen des FOERBICO Projekts zur weiteren Qualitätsentwicklung systematisch beraten. Ziel von FOERBICO ist es, OER in der wissenschaftlichen Religionspädagogik sichtbarer zu machen und ihre Qualität durch systematisierte und praxisnahe Kriterien zu verbessern. Für eine verlässliche und breite Nutzung und Etablierung von OER braucht es neben einer stabilen technischen Infrastruktur auch fachlich fundierter Qualitätsstandards (vgl. Kopp et al., 2021). Dies gilt insbesondere für die Religionspädagogik, da die Qualität offener Bildungsressourcen maßgeblich ihre Akzeptanz und nachhaltige Verbreitung bestimmt (vgl. Pirker & Pirner 2025).
FOERBICO entwickelte hierfür eine Handreichung mit Qualitätskriterien für religionspädagogische OER im schulischen, hochschulischen oder außerschulischen Bildungsbereich. Hierfür wurden bestehende OER-Qualitätssicherungsprozesse in Fachcommunities mit aktuellen wissenschaftlichen Diskursen abgeglichen, weiterentwickelt und in Expert:inneninterviews evaluiert.
Die Handreichung gliedert die Qualitätskriterien in vier Dimensionen:
- Rechtliche Qualität – Lizenz- und Urheberrechtsangaben als Grundlage für rechtssichere Nutzung und Weiterverbreitung
- Technische Qualität – Kriterien für langfristige Verfügbarkeit, Barrierefreiheit und Interoperabilität
- Pädagogisch-didaktische Qualität – Zielgruppenorientierung, didaktisches Design, Lernaktivitäten sowie Möglichkeiten zur Lernerfolgskontrolle und zum Transfer
- Religionspädagogische Qualität – Ausrichtung der Materialien an den Kernprinzipien einer subjektorientierten, pluralitätsfähigen und lebensweltorientierten Religionsdidaktik
TiRU als Modellprojekt für OER-Qualität
Die Beratung des TiRU Projekts fungiert dabei als Modellprojekt für die praxisnahe Erprobung und Validierung der im FOERBICO-Projekt entwickelten OER-Qualitätskriterien. Es trägt wesentlich zur Schärfung der Qualitätsdimensionen bei, bspw. mit Blick auf Lizenzfragen oder zum Umgang mit Bildern und fachspezifischen Elementen. Bereits im Zuge der Entwicklung der OER befassten sich die Verantwortlichen des Projektes TiRU mit bereits vorhandenen Qualitätskriterien zu OER. Ihnen fehlte es zu diesem Zeitpunkt jedoch an fachspezifischen Auseinandersetzungen mit diesen Fragestellungen. Zudem konnte mithilfe des Programms “Zeit für Lehre” eine studentische Hilfskraft eingestellt werden, die die Barrierefreiheit der Materialien überprüfte und weiterentwickelte.
Qualitätsprüfung und offene Punkte
Die Beratung der TiRU-Materialien anhand der FOERBICO-Handreichung zu OER-Qualitätskriterien zeigte: Die Materialien sind bereits rechtlich solide, technisch tragfähig und nachhaltig angelegt sowie didaktisch und religionspädagogisch durchdacht.
Die Materialien zum biblischen Lernen in Tabletumgebungen orientieren sich beispielsweise an den heutigen Fragen und Lebenssituationen der Studierenden, bieten Möglichkeiten zum Perspektivwechsel und regen zu reflektierten Urteilen an. Dennoch offenbarten sich im Detail feine Stellschrauben, an denen sich die Qualität weiter schärfen lässt. Diese lassen sich in vier zentrale Handlungsfelder bündeln:
Rechtliche Präzisierung
- Vereinheitlichung aller Lizenzangaben
- Prüfung und transparente Kennzeichnung von Ausnahmen der CC-Lizenzierung sowie konsequente Anwendung der TULLU-Regel
- Vollständige und einheitliche Urheber:innen- und Mitwirkendenangaben
- Ergänzung eines Zitationsvorschlags der Materialien sowie eines klar ausgewiesenen Erstellungsdatums
Technische Optimierung
- Integration standardisierter Metadaten (Titel, Urheber:in, Lizenz, Format, Zielgruppe)
- Sicherstellung der Bereitstellung in offenen, weit verbreiteten Dateiformaten
- Gewährleistung der Exportierbarkeit von H5P-Elementen
- Einsatz offen lizenzierter Schriftarten
- Gut lesbare Schriftart mit offener Lizenzierung
Die Umsetzung dieser Maßnahmen stellt nicht nur rechtliche Klarheit, technische Resilienz und pädagogische Kohärenz sicher, sondern hebt die TiRU-Materialien zugleich auf ein Niveau, das sie als Referenzmodell für OER in der religionspädagogischen Bildung ausweist. Die aus dem Beratungsprozess gewonnenen Einsichten wiederum flossen zurück in die Weiterentwicklung der Handreichung, stärken deren Praxistauglichkeit und tragen so zur Weiterentwicklung belastbarer Qualitätskriterien für kommende OER-Initiativen bei.
Fazit: Qualität als konstitutives Prinzip
Die im Projekt TiRU entwickelten OER-Materialien, aber auch das ebenfalls an der Professur für Religionspädagogik und Mediendidaktik verortete Projekt M@PS markieren den Anspruch einer neuen Generation religions- und medienpädagogischer Bildungsressourcen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht allein auf die inhaltliche Vermittlung fokussieren, sondern ihre Offenheit, Qualität und Anschlussfähigkeit bereits in der Konzeption, der didaktischen Ausgestaltung und den gewählten Publikationsformaten verankern.
Die im Rahmen des FOERBICO-Projekts entwickelten Qualitätsdimensionen verdeutlichen, dass Qualität im OER-Kontext nicht als nachträgliche Ergänzung, ein sog. „Add-on“ zu verstehen ist. Vielmehr stellt sie ein konstitutives Prinzip dar, das die gesamte Materialentwicklung von der Quellenwahl über die Formatgestaltung bis hin zur rechtlichen und technischen Umsetzung durchzieht. Qualität wird so zu einer Haltung, die in jeder gestalterischen Entscheidung sichtbar wird und die Offenheit der Materialien nicht nur formal, sondern auch strukturell und inhaltlich absichert.
TiRU und M@PS leisten nicht nur einen Beitrag zur Erweiterung des OER-Angebots religionspädagogischer Arbeit, sondern fungieren zugleich als praxisnahe Referenzmodelle dafür, wie sich Offenheit und Qualitätsorientierung wechselseitig stärken und kontinuierlich weiterentwickelt werden können.
Literaturangaben
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Kopp, M., Neuböck, K., Gröblinger, O., Schön, S. (2021). Strategische Verankerung von OER an Hochschulen. Ein nationales Weiterbildungsangebot für Open Educational Resources. In: Wollersheim, H.-W., Karapanos, M., Pengel, N. [Hrsg.]: Bildung in der digitalen Transformation. Münster/ New York, 179-183, https://www.pedocs.de/volltexte/2023/26636/pdf/MidW_78_Kopp_et_al_Strategische_Verankerung.pdf.
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Pirker, V., Pirner, M. L. (2025). Open Educational Resources und Open Educational Practices – ein systematischer Literaturbericht im religionspädagogischen Horizont. In: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 24 (1), 151–185, https://openjournals.fachportal-paedagogik.de/theo-web/article/view/51.