Warum wir eine neue Perspektive brauchen
Die aktuelle digitale Bildungslandschaft gleicht einem Flickenteppich isolierter Plattformen, die zwar öffentlich zugänglich, aber jeweils unterschiedlich verortet und mit verschiedenen Laufzeiten finanziert als große Einzelprojekte im digitalen Raum stehen. Diese „Datensilos“ verhindern nicht nur die Auffindbarkeit von Ressourcen und ihre gemeinschaftliche Weiternutzung, sondern gefährden auch die Nachhaltigkeit offener Bildung: Wenn Fördergelder auslaufen, verschwinden mit den Plattformen nicht nur Materialien sondern auch wertvolle Nutzerinteraktionen wie Kommentare, Sammlungen und auch die kollaborativen Weiterentwicklungen der Bildungsmaterialien aus den Communities.
Doch Bildung sollte resilient sein – unabhängig von politischen oder finanziellen Rahmenbedingungen und gewissermaßen auch von der Plattform, auf der man gerade agiert.
Hier setzt die Vision eines dezentralen Datenraums an: Statt zentraler Kontrolle verteilt er Daten auf viele Akteure, fördert Interoperabilität sowie Datensouveränität der Nutzer:innen und ermöglicht neue Geschäftsmodelle. Inspiriert vom Messaging Protokoll “Nostr” – ursprünglich für zensurresistente soziale Netzwerke entwickelt – könnte so eine Infrastruktur entstehen, die Offenheit, Teilhabe und Vernetzung ins Zentrum stellt.
Von OER zu OEP: Offenheit als Haltung
Open Educational Resources (OER) als frei verfügbare Bildungsmaterialien sind nur der erste Schritt. Echte Open Educational Practices (OEP) umfassen eine Kultur des Teilens, kollaboratives Lernen und demokratische Bildungsprozesse. Wie Kerstin Mayrberger betont, geht es bei OEP im Kern um „Demokratiebildung“: Lernende und Lehrende gestalten gemeinsam Inhalte, hinterfragen Strukturen und entwickeln kritisches Denken.
Doch dafür braucht es mehr als nur frei lizenzierte Materialien. Es braucht (freie) Infrastrukturen, die:
- Partizipation ermöglichen: Nutzer:innen behalten die Kontrolle über ihre Daten und Interaktionen.
- Resilienz schaffen: Dezentrale Speicherung verhindert den „Stecker-Ziehen-Effekt“.
- Vernetzung fördern: Plattformübergreifende Zusammenarbeit wird zur Norm, nicht zur Ausnahme.
Wie Nostr die Bildungsinfrastruktur revolutionieren könnte
Die technische Grundlage für vernetzte Bildung sollte also nicht analog zu Systemen entwickelt werden, deren Grundlage ist, Nutzer und Inhalte (oft ökonomisch gewollt) an sich zu binden. Stattdessen sollte sie strukturell so angelegt sein, die digitale Vernetzung, die wir uns für die Bildung wünschen, bereits grundlegend zu enthalten. Wir suchen somit nicht nach lokalen Softwarelösungen für die Organisation von OER- und OEP-Communities, sondern nach grundlegenden Technologieansätzen, die diese Anforderungen erfüllen können. Dadurch rücken neben den Schnittstellenlösungen, die Plattformen entwickeln müssen, um künftig anschlussfähig zu sein, zunehmend die zugrunde liegenden Protokolle für Zusammenarbeit und vernetzte Bildung in den Fokus einer Entwicklung, wenn diese auf Wirkung und Nachhaltigkeit angelegt sein soll.
Das Nostr-Protokoll erfüllt diese grundlegenden Anforderungen:
- Clients & Relays: Bildungsplattformen agieren als Clients, die mit Relays (dezentralen Servern) verbunden sind. Jede Institution kann eigene Relays betreiben, die Daten synchronisieren – ähnlich wie E-Mails über verschiedene Provider versendet werden.
- Events & Schlüsselpaare: Lernmaterialien, Kommentare oder Sammlungen werden als „Events“ gespeichert, signiert mit kryptografischen Schlüsseln. So bleibt die Urheberschaft nachvollziehbar, ohne zentrale Autorität.
- Interoperabilität & Erweiterbarkeit: Das Protokoll ist modular aufgebaut, sodass verschiedene Eventtypen integriert werden können. So könnten Metadatenstandards wie das Allgemeine Metadatenprofil (AMB) abgebildet werden, um die Publikation und den Konsum von Bildungsmetadaten plattformübergreifend zu erleichtern.
Beispiel: Eine Lehrkraft erstellt auf MUNDO eine Merkliste zu „Nachhaltigkeit“. Dieses Event wird via Nostr-Relays an WirLernenOnline übertragen – die Liste ist somit auf Relays im Nostr-Netzwerk verfügbar. Selbst wenn MUNDO und WirLernenOnline offline gehen würden, wäre die Merkliste weiterhin verfügbar, da sie nicht auf der Plattform, sondern auf einem (oder mehreren) Relay(s) liegt.
Chancen für Gemeinschaft und Nachhaltigkeit
Ein dezentraler Datenraum fördert nicht nur technische Resilienz, sondern auch neue Formen der Zusammenarbeit:
- Qualitätssicherung durch Crowdsourcing: Da Nutzer:innen nicht mehr durch Plattformgrenzen künstlich getrennt werden, können sie übergreifend miteinander und mit Ressourcen interagieren und sich darüber austauschen. Ihr sozialer Graph kann dabei – ähnlich dem „Circle of Trust“ der norwegischen NDLA-Plattform - genutzt werden, um die Relevanz von Ressourcen algorithmisch einzuordnen.
- Monetarisierung ohne Abhängigkeit: Services wie Metadaten-Anreicherung oder Premium-Relays (für personalisierte Feeds, zusätzliche Materialien) können monetarisierbar auf dem Protokoll abgebildet werden und könnten zusätzliche Einnahmequellen bieten, während die Infrastruktur gemeinfrei bleibt .
- Empowerment kleiner Akteure: Lokale und kleinere Initiativen, die bis heute (2025!) nicht in der Lage sind, sich und ihre Materialien selbst in die öffentliche Bildungsinfrastruktur einzubringen, erhalten erweiterte Möglichkeiten.
Aufruf zum Mitgestalten
Die Umsetzung dieser Vision lebt von der Gemeinschaft. Inspiriert von Projekten wie ReliLab oder SynLLOER, laden wir ein:
- Erprobt die Dezentralität: Testet den Proof of Concept „EduFeed“, der Nostr für Bildungsmetadaten nutzt.
- Denkt infrastrukturübergreifend: Entwickelt OER nicht im Silo, sondern integriert sie in dezentrale Netzwerke.
- Engagiert euch politisch: Fordert Fördergelder für offene Protokolle statt proprietärer Plattformen.
Wie Niels Winkelmann im Digilog.Blog schreibt: „OEP systemisch zu denken ist der Wind in den Segeln für eine Vision offener Bildung“. Lasst uns gemeinsam die Segel setzen – dezentral, partizipativ und zukunftssicher! ⛵ “for a race we must win”