Künstliche Intelligenz (KI) ist längst keine ferne Zukunftsvision mehr, sondern prägt unsere Gegenwart – auch im Bildungsbereich. In der religionspädagogischen Fortbildung wurde KI nicht nur als technologische Innovation betrachtet, sondern als kulturelles und ethisches Phänomen. Dabei ging es um zentrale Fragen: Welches Menschenbild prägt den Umgang mit KI? Und welche Antworten gibt die Religionspädagogik darauf?
Im Rahmen der Tagung “Religion Reloaded? Religiöse Bildung in einer vernetzten Welt” im Juni 2025 in Luzern wurde im Workshop “KI und Religionspädagogik” von Referentin Birte Platow darüber diskutiert. Corinna Ullmann vom Comenius-Institut war dabei und teilt hier ihre Dokumentation des Workshops.
1. Ein nachdenklicher Blick in die Zukunft – Was kommt auf uns zu?
Ausgangspunkt war Max Tegmarks visionärer Text Life 3.0, der fragt: In welchem Verhältnis stehen Mensch und Maschine? Vom bloßen „Human Performance“ der 1960er Jahre bis hin zur Vision, den Menschen selbst nachzubilden oder gar zu übertreffen – die technologische Entwicklung scheint keinen Halt zu kennen.
Doch wer programmiert eigentlich mit welcher ethischen Orientierung? Der Satz „Ihr könnt uns vertrauen, wir haben die Theologin in der Ethikkommission“ schafft vertrauen und gibt Anlass zur Reflexion.
2. Transformationsprozesse im Blick
Die Digitalisierung verändert die Lernumgebungen tiefgreifend – formal, informell und semiformell. Oft übersehen werden gerade jene Bildungsräume außerhalb klassischer Curricula, in denen junge Menschen tagtäglich digitale Medien nutzen. Die Postbank Digitalstudie 2023 zeigt: Jugendliche verbringen im Schnitt 63,7 Stunden pro Woche online.
3. Was steckt dahinter? – KI als Basistechnologie in der Bildung
Birte Platow war in drei Ländern: China, Israel und USA zu Gast. Sie hat dort Distopie und Utopie erlebt.
Israel: Tutorielle Systeme wurden als Utopie erfahren – begleitend, unterstützend, menschenzentriert.
USA: Das gleiche System geriet durch ein autoritäres Setting zur Dystopie – Kontrolle statt Unterstützung.
China: Dort überzeugte das System zunächst durch Effizienz – doch birgt es dystopisches Potenzial durch umfassende Überwachung und algorithmische Steuerung.
KI ist kein Add-on mehr – sie ist grundlegende Infrastruktur:
- Data Mining
- Learning Analytics
Anwendungen (adapt. Lernsoftware, Tutoring/Assistenz, automatische Assessment, Scoring, Grading) bringen neue Möglichkeiten – aber auch neue Herausforderungen. Wer entscheidet, was bewertet wird – und wie?
4. Menschenbilder im Widerstreit – Technik vs. Theologie
In der Diskussion um KI prallen unterschiedliche Menschenbilder aufeinander:
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Der Mensch als Wetware – ein biologisches System, das optimiert werden kann.
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Der DAU – dümmster anzunehmender User, der Technik nicht versteht.
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Der Mensch als Bias-Donner – Quelle von Verzerrungen und Fehlern.
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Der Information Need User – aktiver, wissensdurstiger Mensch.
Technologische Diskurse tendieren zu Reduktion und Optimierung. Die Aussage „Wir machen Technik – über gut oder schlecht entscheidet der Anwender“ verlagert ethische Verantwortung. Doch genau hier setzt Religionspädagogik an.
5. Der USP der Religionspädagogik: Das jüdisch-christliche Menschenbild
Religionspädagogik denkt nicht technikfeindlich, aber theologisch fundiert. Der Mensch ist nach Gen 1,27 als Ebenbild Gottes geschaffen – mit Würde, Freiheit und Verantwortung. Er ist wie Gott, aber nicht Gott – eine Grenze, die die KI-Logik nicht kennt.
Theologische Perspektiven:
Der Mensch ist Potenzialwesen – er hat eine Bestimmung, aber nicht völlige Verfügbarkeit.
Es braucht Räume der Unverfügbarkeit – Erfahrungen, Gefühle, Transzendenz.
Fehlbarkeit ist kein Defizit, sondern ein anthropologisches Privileg.
Gerade in einer Zeit algorithmischer Optimierung braucht es eine Kultur der Fehlertoleranz, in der Scheitern Lernchance und Menschlichkeit bedeutet.
6. Schlussgedanken: Neue Rollen für die Religionspädagogik
Die Religionspädagogik muss sich neu positionieren:
- Welche Lernprozesse können an KI delegiert werden – und welche nicht?
- Was bleibt dem Menschen vorbehalten – Beziehung, soziale Kompetenz, Sinnstiftung?
- Soziales Lernen, Empathie und Seelsorgekompetenz müssen als zentrale Qualifikationen verstanden werden – auch im schulischen Kontext.
- Vielleicht ist es an der Zeit, Schulseelsorge nicht mehr als Zusatz, sondern als Kernkompetenz im Unterricht mitzudenken.
KI eröffnet neue Horizonte – aber auch neue ethische Fragen. Religionspädagogik kann und muss hier eine zentrale Rolle spielen: als Reflexionsinstanz, als Anwältin des Menschen und als Vermittlerin von Haltung. Es geht nicht darum, Technik zu verhindern – sondern sie verantwortlich mitzugestalten. Mit einem klaren Menschenbild und einer tiefen Überzeugung: Der Mensch ist mehr als ein Algorithmus.